Heute möchte ich eine Lanze brechen für eine ganz wichtige, positive Eigenschaft einer Führungskraft, die sich durch bewusstes Üben und etwas Vorbereitung kultivieren lässt: Präsenz!
Von vielen Definitionen, die Präsenz, Bewusstheit oder Achtsamkeit beschreiben, ist diese hier, von Doug Silsbee, mein Favorit:
„Präsenz ist der innere Zustand von alles umfassender Aufmerksamkeit, Ruhe, Gegenwärtigkeit und Möglichkeit“.
Ein großer Vorteil für denjenigen, der aus diesem so beschriebenen Zustand heraus wichtige Gespräche führen, bedeutsame Entscheidungen fällen, große Ideen verfolgen kann. Das Gegenteil, abgelenkt, gehetzt, aufgewühlt zu sein, in Gedanken woanders und mit eingeengter Perspektive, ist hingegen die denkbar schlechteste Basis dafür.
Wer als Führungsmensch in Gesprächen wirklich präsent ist, nimmt seinen Gegenüber vollständiger wahr. Er wird sensibel für Gestik, Mimik und Zwischentöne, die sonst unbeachtet blieben und damit verloren gingen. Dies wird auch vom Gegenüber schnell positiv vermerkt.
„Das größte Geschenk, das wir einander geben können, ist die Vollkommenheit unserer Präsenz“, so heißt es etwas poetisch.
Präsent nimmt man sich selbst umfassender wahr, wird hierdurch zu emotionaler Kontrolle und mehr Gelassenheit fähig wie auch zu Selbstkorrektur, wo nötig. Und Präsenz macht es möglich, dass wir uns und unseren Gesprächspartner wie aus der Vogelperspektive beobachten können – in dem Raum, den wir durch unser Gespräch gemeinsam schaffen.
Wer präsent ist, spricht und handelt bewusst und absichtsvoll, nicht aus einer Regung oder einem Affekt – Ärger, Angst, Ungeduld, Abwehr etc. – heraus. Er unterbricht den Reiz-Reaktions-Automatismus, der uns nach einer Provokation gedankenlos verbal zurückschlagen lässt, gesteuert von unserem Alarmsystem im Hirn, das nur Flucht, Kampf oder Erstarren kennt. Und wir sind besser darin, im Gespräch umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben – zum Beispiel länger neugierig zu bleiben und mehr zu fragen, hingegen weniger zu dozieren oder zu früh Ratschläge zu erteilen.
Dies alles sind unschätzbare Pluspunkte für die Qualität von zwischenmenschlichen Interaktionen und für die Intensität von Verbindung. – Gute Verbindung mit dem Anderen durch gute Verbindung mit sich selbst!
Musik wäre unerträglich, ja undenkbar, ohne Pausen zwischen den Tönen. Wussten Sie, das auch unser Atem immer wieder eine kurze Pause macht? Verfolgen Sie einmal bewusst Ihr Ein- und Ausatmen. Zwischen ihnen liegt jeweils ein kleiner Moment der Stille, eine winzige Pause, bevor der nächste Atemzug beginnt. Der „Geist“ dieser Pause vor der nächsten Aktivität ist es, den wir für unsere Präsenz benötigen – bereit und zugleich entspannt.
Die bewusste zeitweise Beruhigung kann in einer immer schnelleren Welt zu einem wohltuenden Anker werden, an dem wir uns im Trubel des Alltags festhalten können. Sich zu erden, in Verbindung mit sich selbst zu kommen, wach, bereit, offen und gelassen, die Gedanken ziehen zu lassen, einige Momente auf „Pause“ zu schalten, bringt uns dem Zustand der Präsenz nahe und tut unserer Seele gut – wie auch den Menschen in unserem Umfeld.
Hinzu kommen die positiven physisch-medizinischen Effekte, von den Augen über die Muskulatur bis zum Blutdruck und zur Herzfrequenz.
Wenn Sie die Wirkung einer kleinen Präsenz-Übung sofort erfahren wollen:
Setzen Sie sich aufrecht, aber bequem auf Ihren Stuhl, die Füße etwa schulterbreit auf dem Boden. Spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen. Lockern Sie Ihre Schultern und lassen Sie Ihre Arme hängen.
Senken Sie leicht den Kopf, schließen Sie die Augen oder schauen Sie etwa einen Meter vor sich auf den Boden. Entspannen Sie Ihr Gesicht, Ihren Kiefer, die Stirn, die Stelle zwischen Ihren Augenbrauen, die wir gern zusammenziehen.
Nun atmen Sie einige Male tief und ruhig über den Bauch ein und aus. Spüren Sie in Ihren Körper hinein, wo Sie Ihren Atem am deutlichsten wahrnehmen und bleiben Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit an dieser Stelle.
Folgen Sie dem Einatmen und Ausatmen jeweils von Beginn bis zum Ende.
Wenn Gedanken oder Störgefühle aufkommen, ist dies völlig normal. „Leere“ im Kopf können wir nicht herstellen, aber wir wollen den ständigen Strom von Gedanken mit bewusster Aufmerksamkeit für etwas ersetzen, zum Beispiel für unseren Atem, den wir immer bei uns haben so lange wir leben. Lassen Sie Ihre Gedanken ziehen wie Wolken am Himmel oder Blätter auf einem Fluss.
Spüren Sie in sich hinein, wie Ihr Atem ruhiger wird, ohne ihn dazu zu zwingen. Nehmen Sie noch 3, 4 weitere ruhige, konzentrierte Atemzüge und kehren Sie langsam wieder zurück in Ihre Umgebung.
Was haben Sie erlebt? Wie fühlen Sie sich jetzt, im Vergleich zu vorher? Spüren Sie, dass Sie in einer besseren Verfassung sind als wenige Minuten zuvor? Dann ist dies IHRE Übung! Sie sollte nicht mehr als 3-5 Minuten gedauert haben. Und wenn sie Ihnen hilft, werden Sie auch die Zeit dafür finden. Sie sollten sehr bald merken, dass Ihre Fähigkeit zur Präsenz wächst.