Menschenführung ist stets die hohe Kunst der richtigen Balance.
Es geht zum Beispiel immer wieder darum, gerade ausreichend Richtung zu geben, dann die Mitarbeiter aber selbstständig „laufen“ zu lassen.
Es geht darum, gerade genug zu konfrontieren und Feedback zu geben, so dass motivierte Verbesserung entsteht, aber keine Entmutigung.
Es braucht die richtige Nähe zum Mitarbeiter, die Interesse und Wertschätzung beweist, ohne zudringlich oder übergriffig zu wirken.
Ebenso gilt es in gutem Maße zu fordern, ohne zu überfordern.
Der sogenannte „Growth Mindset“ (==> Carol Dweck, Stanford) geht davon aus, dass wir mit Fokus, Anstrengung und Beharrlichkeit nahezu alles lernen können, dass unsere Möglichkeiten also per se nicht begrenzt sind. Wer diesen Mindset hat, nimmt gern neue Herausforderungen an, akzeptiert Rückschläge, sucht nach Feedback und sieht Erfolge anderer als Inspiration. – Dies sind die Mitarbeiter, die wir alle suchen.
Hierfür braucht es jedoch das Verlassen der Komfortzone. Wie ein Muskel, der Belastung braucht, um Mikroverletzungen erst entstehen zu lassen, dann zu heilen und am Ende stärker und leistungsfähiger zu sein, müssen auch Menschen manchmal an ihre Grenzen gehen, um zu wachsen.
Aber nicht auf Dauer! Überlastung und Dauerstress sind nicht nur eine gesundheitliche Gefahr für Körper und Geist. Der dauerhaft erhöhte Spiegel von Stresshormonen lässt uns schlecht schlafen, gereizter reagieren, unkonzentriert arbeiten und verschlechtert damit langfristig unsere Leistung. Wann ist es also genug und wie gelingt hier die Balance?
Ausgleich muss her!, so heißt es. – Die sogenannte „Work Life-Balance“ geht schon vom Begriff her von einem Abwägen zweier gegensätzlicher Dinge aus – Work und Life. Sie sagt damit, Arbeit ist nicht Leben und Leben ist nicht Arbeit! Mancher mag sogar aus diesem Gegensatzpaar interpretieren: Arbeit ist „böse“ und ich muss genügend „Ausgleich“ finden, denn nur Nicht-Arbeit ist gut. Ich buckle mich durch die Mühsal des Tages, um endlich mit Dienstschluss die Freiheit und das wahre Leben zu erreichen.
Ist das wirklich so? Ich hoffe, für die Mehrheit von uns nicht!
Dass die Altersforschung mittlerweile davon ausgeht, dass eine sinnvolle regelmäßige Tätigkeit bis ins hohe Alter hinein absolut lebensverlängernd wirkt, will ich hier nicht weiter vertiefen, ist aber für die eigene Lebensplanung durchaus bedenkenswert.
Akuter stellt sich die Frage: Ist eine solche scharfe Work-Life-Abgrenzung hilfreich für uns? Wird eine „Tür-zu-Politik“ unserem heutigen Leben gerecht und fördert sie unser Seelenheil in der Freizeit? Oder schränkt sie uns ein, schafft uns ein unnötiges Korsett und lässt uns unruhig sein, wenn wir von wichtigen Entwicklungen abgeschnitten sind?
Das Gegenmodell, Work Life-Integration oder -Blending genannt, gibt eine andere Antwort. Hiernach gibt es nur ein Leben, die Lebensbereiche verschmelzen, der Kopf wechselt häufiger die „Lebenshüte“. Wir gewinnen Flexibilität für private Besorgungen, Familie und Eigenzeit, um dafür am Abend, zwischendurch, unterwegs oder am Wochenende zu arbeiten. Das Risiko: die Arbeit, öffnet man ihr einmal die Tür zum privaten Bereich, breitet sich immer mehr und in alle Zeiten aus.
Flexible Gleitzeit, Arbeitszeitkonten und Gewerk-Aufträge passen zu diesem Modell, ebenso das heute Corona-bedingt von vielen praktizierte „Home Office“.
Viele von uns arbeiten derzeit im Home Office, nicht wenige schon seit etlichen Monaten. So manche erzählen mir, dass sie die Zeit, die sie dadurch einsparen, dass sie nicht zur Arbeit pendeln müssen, mindestens zur Hälfte wieder in ihre Arbeit investieren. – Was sagt uns das über Zeitautonomie und Zeitkompetenz?
Die kommenden Wochen und Festtage könnten ruhiger werden, als wir es kennen oder auch als wir es gern hätten. Nutzen wir diese nahende, sogenannte „besinnliche Zeit“, zusammen mit dem Home Office und unseren Erfahrungen daraus, doch einmal für unsere eigene Verortung in diesem Thema:
Wie nah‘ bin ich an meinem natürlichen persönlichen Rhythmus?
Gelingt mir eine gesunde Abgrenzung, die sich „richtig“ anfühlt?
Was tue ich mit der Zeit, die mir das Nicht-Pendeln erspart?
Wieweit kann ich all‘ meinen Lebenshüten /-rollen gerecht werden?
Wozu sage ich „nein“, wann gelingt dies nicht – und warum?
Lebe ich in einer Balance, die ich noch etliche Jahre gut durchhalte?
Ich wünsche Ihnen, Dir und Euch gute Gedanken und schöne Feiertage!
Ja alles richtig, was hier geschrieben steht. Für die praktische Umsetzung könnte der Ansatz „to do the right things, do the things right“ helfen. Im Prinzip heißt das, sich auf das Wichtige zu beschränken und das Wichtige richtig gut zu machen.