Mein Reißverschluss der Einsicht und die Kraft der inneren Haltung

Mai 1, 2023 SGuenther No comments exist

Ich habe eine Arbeitstasche, in der ich seit vielen Jahren Notebook, Zubehör, Schreibkram und andere nützliche Dinge durch die Gegend trage. Praktischerweise ist sie aus sehr leichtem Material, hat zahlreiche Fächer, und sie lässt sich an der Hand, über die Schulter und als Rucksack tragen. Vor allem aber ist sie mit mehreren stabilen Reißverschlüssen ausgestattet, die so wirken, als würden sie eine Feuersbrunst oder eine feindliche Dampfwalze unbeschadet überstehen. 

Dennoch, schon seit etwa einem Jahr hakt der Haupt-Reißverschluss an dieser wunderbaren Tasche. Ich nenne ihn so, da er das Haupt-Fach, das mit dem Notebook, Headset und Maus, verschließt. Bei jedem anderen Reißverschluss dieser Tasche, und derer gibt es einige, wäre dieser Mangel weniger schmerzlich als hier. Der Reißverschluss hakt nicht mal hier und mal da, er tut dies immer an derselben Stelle. Weder höherer Kraftaufwand noch entschlossenes Zurückziehen und erneute, mehrfache Versuche mit „Anlauf“, können diesen einen, kritischen Punkt überwinden. Möglicherweise ist, unterhalb meiner Wahrnehmungsschwelle, ein Zähnchen verbogen. So begann ich also, mir betrübt über eine neue Tasche Gedanken zu machen.

Vielleicht war es Zufall, vielleicht war es eine gewisse Experimentierfreude oder Eingebung, vielleicht auch die reine Not, die Tasche doch noch irgendwie zu schließen – eines Tages hatte ich die Tasche ein klein wenig vor mir gedreht. Erst als der Reißverschluss ohne jeden Widerstand zu war, wurde mir bewusst: Ich hatte die Tasche immer in der exakt gleichen Position geschlossen, vor mir auf dem Tisch oder Stuhl, nachdem ich die wichtigsten Utensilien eingepackt hatte, und das seit Jahren. Gleiche Haltung, gleiches Ergebnis!

Eine kleine Drehung, eine kleine Änderung der Positionierung der Tasche vor mir, hatte nun das bewirkt, was Kraft, Anlauf, Ärger und verschiedene andere Optionen nicht oder immer nur nach vielen Fehlversuchen erreicht hatten. Ohne es erklären oder auch nur spüren zu können, muss sich das Verhältnis von Griffstück zu Zahnlauf durch die kleine Drehung minimal verändert haben. 

Mir sprang diese Geschichte laut und grell ins Bewusstsein, als ich wenig später für einen Kunden einen Online-Impuls zum Thema „Innere Haltung“ vorbereitete. Eine kleine, kaum wahrnehmbare Änderung unserer „Haltung“, wie wir „etwas halten“ oder „es mit etwas halten“, macht einen Unterschied. Unsere innere Position oder „Einstellung“ etwas oder jemandem gegenüber, kann zu einem völlig anderen Ergebnis führen. Wie aber kann eine innere (!) Haltung auf das Außen wirken? 

In der Literatur findet sich der sogenannte „Rosenthal-Effekt“. Ein Forscher gleichen Namens hatte Laborratten zufällig mit dem Label „besonders schlau“ oder „besonders dumm“ markiert. Mitarbeiter, die diesen Ratten in der Folge beibringen sollten, möglichst schnell durch ein Labyrinth zu finden und denen diese Label bekannt waren, machten dann genau diese Erfahrung: die als minderbegabt klassifizierten Tiere brauchten länger, die „hochbegabten“ Nager lernten schneller den Ausgang zu finden. 

Ähnliche Ergebnisse gibt es mit Lehrern und Grundschulkindern. Bekamen Lehrer ein Kind neu in ihre Klasse, dem das – völlig willkürliche – Urteil „besonders begabt“ mitgegeben wurde, wurde dieses Kind schnell eines der Klassenbesten. Im umgekehrten Fall war das Ergebnis negativ, das Kind hatte Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. 

Hier, wie im Labor des Forschers Rosenthal, muss sich durch die vorgefasste Haltung begabt / unbegabt minimal, aber stetig das Verhalten verändert haben in einer Form, die entscheidende Auswirkung auf Ratten bzw. Schüler und deren Erfolg hatte. Mikro-Botschaften, die die Einstellung des Subjektes (Lehrer, Forscher) zum Objekt (Schüler, Ratte) signalisierten – Zuneigung versus Abneigung, Ermutigung versus Entmutigung, Zutrauen versus Misstrauen etc. – prägten entscheidend das Ergebnis. 

Was für eine schöne Botschaft! Und welch‘ großartige Chance tut sich hier auf! Unsere innere Haltung und Vorgefasstheit lenkt unbewusst oder am Rande unseres Bewusstseins unser Verhalten und hat ganz reale Auswirkungen auf unsere Nächsten, unsere Mitarbeiter, Kunden, Kollegen…

Umgekehrt betrachtet, ist es deshalb auch so schwer, nachhaltig und glaubhaft unser Verhalten zu verändern, wenn sich „in uns“ nichts verändert hat. Freundlich und kooperativ zu einem Kollegen zu sein, den ich innerlich ablehne, fällt mir nicht nur schwer, es wird häufig auch von außen als unecht, aufgesetzt und nicht stimmig wahrgenommen – zurecht. 

Gelingt es mir hingegen, meine Einstellung zu verändern, zu einer annehmenden, neugierigen Haltung zu kommen, die das sucht, was ich am Anderen respektieren und wertschätzen kann, fällt mir auch die Verhaltensveränderung leicht. Eigentlich ganz logisch!

„Bezeichne sie nicht mit Namen, wenn du über sie denkst oder sprichst, die du ihr nicht geben würdest, wenn du ihr gegenüber ständest“, heißt es im Buch „The Communication Catalyst“ von Conversant. Die Botschaft des weisen Mentors an die junge, ratlose Führungskraft: Du musst erst dein Denken und deine Haltung ändern, wenn du die Beziehung verändern willst. 

Eine konstruktive, annehmende, positive Haltung scheint sozusagen durch uns durch und führt in der Folge zu anderen Ergebnissen, nahezu egal, welches „Ereignis“ oder welche Person wir betrachten. 

Und somit stellt sich für uns die spannende Aufgabe zur Reflexion: 

  1. In welchen Fällen ist meine Haltung kritisch, abwertend, verurteilend? Wo nehme ich ausschließlich oder überwiegend negativ wahr?
  2. Was, wenn ich diesen Wahrnehmungsfilter – versuchsweise – verändere? Was kann entstehen, wenn ich auf offen, konstruktiv, wertschätzend umschalte? 

Alles neu macht der Mai – probieren Sie es aus! Die Chancen sind da, das Risiko gering.

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