Der Lehrer ist immer da

Juni 1, 2024 SGuenther No comments exist

Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen. 

Um seine Praxis der Achtsamkeit und Präsenz zu vervollkommnen, hatte sich ein Mensch in ein Meditations-Camp in Indien zurückgezogen. Neben Unterrichtseinheiten wollte er dort viel Zeit in Ruhe und Kontemplation genießen. Dafür bezog er eine kleine, nur etwa drei mal drei Meter große Hütte. Statt einer Tür gab es vor deren Eingang lediglich einen leichten Vorhang. 
Kaum hatte er sich auf seinem Meditationskissen eingerichtet, kam eine kleine Katze durch den Vorhang geschlüpft. Sie steuerte zielstrebig auf ihn zu und setzte sich auf seinen Schoß. 
Unser Meditationsschüler nahm vorsichtig die Katze und setzte sie nach draußen, vor seine Hütte. Wieder auf seinem Meditationskissen angekommen, die Augen geschlossen, spürte er erneut die Katze, die sich frohgemut wiederum auf seinem Schoß niederließ. Er atmete tief durch, beschloss, nicht ärgerlich zu sein, nahm die Katze und setzte sie wieder nach draußen. 
Dieses Spiel wiederholte sich noch einige Male. Irgendwann gab er genervt auf. Die Katze kam, setzte sich auf seinen Schoß, er nahm es hin und ließ sie sitzen. Nach nicht mehr als einer Minute stand sie auf, verließ leise seine Hütte, und er sah sie nie wieder. 

Eckhart Tolle wird der Satz nachgesagt: „Ich habe mit zahlreichen Zen-Meistern gelebt. Alle von ihnen waren Katzen.“

Die Katze in unserer Geschichte war nicht die Störung seiner Übung, die Katze war seine Übung. Die Steine auf unserem Weg sind nicht die Hindernisse, sie sind der Weg! 
Ebenso sind die „Störungen“, die uns jeden Tag als Herausforderung begegnen, unser Übungsfeld für das, was wir für uns selbst und mit anderen umsetzen wollen. 

Bewusst wird mir dies immer, wenn Studenten oder Teilnehmer meiner Programme (nicht selten) sagen: „Ich konnte X oder Y nicht anwenden, es war so viel los, ich hatte so viel um die Ohren.“ 
Ja, richtig, und genau dieses „viel los“ ist unser Trainingsfeld! Darum geht es, die Dinge anwenden, wenn oder weil „viel los“ ist. Wir finden jeden Tag ein sehr ergiebiges Feld, und, wie die Buddhisten sagen: Wenn der Schüler bereit ist, wird der Lehrer erscheinen. Der Lehrer ist immer da und er kommt in verschiedensten Formen. Auch, wenn es vielleicht „nur“ eine Katze ist. Wenn wir bereit sind, werden wir ihn erkennen. 

  • Sind wir bereit?
  • Was ist deine häufigste „Katze“?

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