Darf man schon sagen, dass sich die Corona-Krise ihrem Ende zuneigt? Oder ist dies unverantwortlicher, unangebracht früher Optimismus? Und worüber reden wir dann überhaupt?
Weltweit gibt es manche Länder, die im Verlauf hinter uns sind und wo Fall- und Todeszahlen noch steigen. Auch in Deutschland, mit aktuell nur noch wenigen tausend registrierten Infizierten, werden die wirtschaftlichen Auswirkungen des Lockdown sowie der weitergehenden Einschränkungen, diese nun regional immer unterschiedlicher, allmählich erst deutlich.
Dennoch stellen wir fest, dass die Straßen und die Geschäftsgebäude langsam wieder voller werden. Dies gilt für Autobahnen und Einkaufstraßen, für Bankentürme wie für Fabrikhallen und Rathäuser.
Menschen kehren nach „Kurzarbeit Null“ oder Home Office zurück, oft noch im Schichtbetrieb, stets unter Einhaltung erhöhter Abstands- und Sicherheitsvorschriften und immer mit dem Vorbehalt, dass es immer noch ein Zurück zu verschärften Maßnahmen geben könnte. Gleichzeitig hoffen wir, dass neue Ausbrüche lokal eng begrenzt bleiben, sich gut lokalisieren lassen, und damit eingrenzbar und beherrschbar sind. Eine „zweite Welle“, vor kurzem noch Teil unserer künftigen Realität, rückt in weite Ferne.
Die Aktienbörsen haben sich schwungvoll erholt, die Konjunkturpakete und Hilfsmaßnahmen schüren Optimismus.
Wir kehren zurück zur Normalität!
Ist das so? Und, wenn ja, welche Normalität meinen wir? Zunehmend lesen wir von einer „Neuen Normalität“ – ein Begriff, den ich aus der Zeit nach der Finanzkrise kenne. Gemeint war damals eine Welt mit mehr Risikobewusstsein, mit sehr niedrigen Wachstums- und Inflationszahlen und historisch niedrigen Zinsen.
Und was ist aktuell gemeint mit der „Neuen Normalität“? Soll alles wieder genau so werden wie es „vorher“ war, oder was genau nicht? Alles nur ein Unfall….., ein kurzes Stottern unseres vertrauten Lebens- (oder Hamster-)Rades, ein Schlagloch der Geschichte, das wir nun mit viel Steuergeld wieder ausbessern, damit wir erneut fröhlich und wie gewohnt geradeaus weiterfahren können?
Mir scheint, jeder meint etwas anderes damit. Jeder erwartet oder erhofft sich etwas anderes von der Post-Corona-Zeit. Jeder einzelne von uns hat seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht, hatte seine Gedanken, Ängste, Hoffnungen. Hat vielleicht Isolation erfahren, Existenzängste, Stress, Sorge um Kinder und ältere Angehörige, Hilflosigkeit und Überforderung.
Mancher hat aber auch gelernt, auf andere Art Beziehungen zu pflegen. Hat neue Arbeitsweisen eingeübt und schätzen gelernt, neue Kompetenzen erworben, intensiveren Austausch mit Kollegen und „Leidensgenossen“ erlebt.
Daher glaube ich, ist es jetzt, da die Menschen langsam zurückkehren zu ihren Arbeitsplätzen, an der Zeit, gerade nicht so zu tun, als sei nichts passiert. Wäre dies nicht geradezu absurd?
Im Gegenteil: Jetzt ist die Zeit, sich zusammenzusetzen und über die letzten Wochen zu reden. Ähnlich, wie Traumapatienten lernen sollen, über das Erlebte zu sprechen.
Für Führungsmenschen ist jetzt die Zeit, erneut gut zuzuhören. Ist es nicht so, dass niemand nach 8, 10 oder mehr Wochen genau so aus dem Home Office oder der Isolation zurückkommt, wie er hinein ging? Wie kann dann das Team, wie kann die Firma die selbe sein wie vorher?
Was hat uns in welcher Weise verändert….? – Es gilt, einen Reichtum von Erfahrungen zu erforschen, nicht primär als Bewältigung der Vergangenheit, sondern vor allem als Chance für die Zukunft, im vertraulichen 1:1-Gespräch wie in kleinen Gruppen:
Wie haben sich meine Mitarbeiter verändert, insbesondere in ihrer Einstellung und Haltung? Welche Herausforderungen hatten sie zu bewältigen und wie ist es ihnen gelungen? Was haben sie gelernt und für sich verändert? Auf was freuen sie sich nun und was wollen sie gern beibehalten, z. B. zeitweise Arbeit von zuhause, – und warum?
Wir haben gelernt, dass vieles, das vorher nicht möglich schien, auf einmal möglich war. Möglich sein musste. Und meist gut funktioniert hat. Also sind auch jetzt Änderungen möglich.
Dies ist die Zeit der bewussten, menschlichen, gemeinsamen Aufarbeitung. Nicht zurück zu genau dem, wie es vorher war. Sondern weiter, nach vorn, zu etwas Besserem – mit dem, was wir erfahren und gelernt haben.
Eine wunderbare, lohnenswerte, großartige Führungsaufgabe, dies jetzt anzugehen und mit den eigenen Leuten zu gestalten.