Führungskräfte, ich bevorzuge den anspruchsvolleren Begriff „Führungsmenschen“, sind in aller Regel für Ergebnisse verantwortlich. Genauer betrachtet sind sie aber vor allem für die Menschen verantwortlich, die diese Ergebnisse erzielen. Ja, ohnehin können sie die Ergebnisse in ihrer Organisation nicht selbst herbeiführen, sie tun dies über ihre Mitarbeiter.
In der Begriffswelt der gern verwendeten „RACI-Matrix“ sind sie damit nicht „Responsible“, sondern „Accountable“, dies heißt so viel wie rechenschaftspflichtig oder „politisch verantwortlich“.
Eine ihrer Verantwortlichkeiten als Führungsmensch ist es, Mitarbeiter stark zu machen. Für die Entwicklung und für die Motivation der Mitarbeiter ist es essenziell, eigenverantwortlich („responsible“) Aufgaben zu erledigen und Ergebnisse zu erzielen, auch anspruchsvolle, und zwar ohne enge Vorgaben und ohne den Atem des Chefs im Nacken oder seinen ständigen Blick über die Schulter zu spüren.
Hierfür müssen zwei Dinge gegeben sein:
- Ein hohes Gefühl von Eigenverantwortung („Ownership“) beim Mitarbeiter
- Der richtige Grad von vertrauendem „Loslassen“ beim Chef
Für die hohe Eigenverantwortung sollte dem Mitarbeiter aufgezeigt werden, welche Bedeutung seine Arbeit hat und für wen, und wie wichtig sein Beitrag zum übergeordneten Ganzen („Purpose“) ist. Ebenso wird er seine Aufgabe umso mehr als „meins“ empfinden, je mehr es auf ihn ankommt, je weniger er reglementiert und kontrolliert wird, je mehr er sich also selbst eigen-verantwortlich einbringen kann. Es gilt, ihm Mut zu machen und gleichzeitig sein Denken anzuregen sowie seine Wachsamkeit und sein Bewusstsein zu schärfen für die vorliegende Aufgabe.
„Loslassen“ ist das Gegenstück auf Seiten des Vorgesetzten. Ich erlebe oft, dass Führungskräften dies mit dem damit verbundenen Kontrollverlust überaus schwer fällt. Das gilt gerade für diejenigen Vorgesetzten, die selbst aus einer tiefen Fachlichkeit kommen und es immer noch, vermeintlich, „am besten können“.
Es ist in der Tat eine Daueraufgabe, die richtige Balance zu finden zwischen Vertrauen (schenken) im Sinne von „Zutrauen“ einerseits, und einer ausreichenden, angemessenen Supervision. – Ich verwende bewusst nicht den Begriff „Kontrolle“.
Dennoch: Auch Freiraum hat Grenzen – sonst wäre er ja kein Raum, wie Reinhard Sprenger treffend formuliert.
Marshall Goldsmith postuliert „Leadership is a Contact Sport“. Dagegen steht der alte Spruch „Finde die besten Leute und dann gehe ihnen aus dem Weg“. Was heißt das nun?
Loslassen heißt nicht, eine Aufgabe über den Zaun werfen und abtauchen. Es heißt, in Verbindung zu bleiben zu dem Thema, jedoch unterschiedlich intensiv und abhängig vom Reifegrad des Mitarbeiters, das heißt von seiner Kompetenz, Erfahrung und seinem eigenen Selbstvertrauen.
Da zu sein, sich als Unterstützer und Sparringspartner anzubieten, ist das Minimum.
Fragen zu stellen, damit herauszufordern, anzuregen, (vermeintliche) Plausibilitäten zu hinterfragen, ist die nächste Stufe.
Erwartungen klar machen, den Weg diskutieren, Vereinbarungen treffen, Einfluss nehmen, Korrekturen fordern, auch das ist möglich und in angemessener Form ein probates Mittel.
Auch dies bedeutet aber nicht, hart einzugreifen und das Steuer zu übernehmen, im Sinne von „Geben Sie her, ich mache das schon…..“ – eine Niederlage für Mitarbeiter und Chef.
Und wer aus falsch verstandener Vorsicht gleich jeden Schritt vorgibt („Machen Sie es so, wie ich es Ihnen sage!“), hat entweder die falschen Mitarbeiter um sich gesammelt oder ist nicht wirklich Führungsmensch.
Wer hingegen schon zu Beginn Zweck und Ziel (Vision, Purpose oder „Why?“) klärt und eine gute gemeinsame Ausrichtung mit gemeinsamem Verständnis schafft, dessen Regelwerk kann dünn sein, seine Interventionen rar und der Freiraum seiner Leute groß.
Die Voraussetzung heißt jedoch immer: wirklich loslassen wollen!