Gern mache ich mit Führenden eine kleine Achtsamkeitsübung – die Augen schließen, den eigenen Atem verfolgen, dabei sich selbst wahrnehmen, inklusive der Gedanken, Körperwahrnehmungen und eventuellen Störgefühle, die aufkommen. Nicht davon vereinnahmen lassen, sondern beobachten und sein lassen. Ich nenne das dann bewusst nicht „Achtsamkeitsübung“ oder Meditation – Begriffe, die für viele entweder abgenutzt oder aber etwas esoterisch klingen, sondern Presence- oder Bewusstheits-Übung.
Selbst-Bewusstheit ist etwas Wunderbares und vor allem ist es ein sehr kraftvoller Zustand, der sich durch Aufmerksamkeit, Gelassenheit, Fokus und Offenheit für neue Eindrücke und neue Möglichkeiten auszeichnet. Ein Mitarbeiter spürt, ob seine Chefin vollständig präsent, bewusst, bei ihm im Gespräch ist, oder aber mit einem Auge auf dem Smartphone, mit einem Ohr im Nebenraum, mit einem Gedanken schon beim nächsten Termin.
Selbst-Bewusstheit ist auch ein wichtiger Gegenpol dazu, dass wir viele Dinge wie auf Autopilot tun. In die Beobachterrolle zu gehen, in der ich mich selbst und mein Verhalten wie von außen wahrnehme, ist die Basis dafür, aus gelernten Mustern und Gewohnheiten, die nicht mehr oder in diesem Moment nicht nützlich sind, auszubrechen. Es ermöglicht, nicht in einem Reiz-Reaktions-Automatismus hängenzubleiben, sondern bewusst (!) eine andere Abzweigung zu nehmen – zum Beispiel auf eine Provokation oder Kritik nicht mit Widerspruch oder Aggression, sondern mit Neugier antworten zu können.
Wir haben unvermeidbar Gedanken, aber wir sind nicht unsere Gedanken. Wir haben Gefühle, aber wir sind nicht unsere Gefühle. Wenn es gelingt, etwas Abstand zwischen uns und einen aufkommenden Gedanken oder ein aufkommendes Gefühl zu bringen, können wir umso wacher, präsenter, offener sein für das, was jetzt im Moment ist. Und bereiter für das, was die Situation von uns fordert. Ein neuer Weg, eine neue Qualität von Empathie, von Zuhören und von Einflussnahme wird möglich.
Wie kommt man dorthin? Sicher nicht mit einer gelegentlichen 5-Minuten-Übung alle paar Wochen oder Monate. Aber zum Beispiel dadurch, dass ich bewusst mehrmals am Tag einen kurzen Check-Up von einer Minute mache: Wie geht es mir gerade? Was fühle (nicht denke!) ich? Wie drückt sich dies in meiner Haltung aus? Was ist um mich herum los? Was tue, was will ich gerade?
Eine effektive Übung ist es, sich per Smartphone hierzu einige Erinnerungen am Tag einzustellen. So beginnt eine Reise, die mit kleinen Schritten beginnt, aber durch Selbst-Bewusstheit zu reichen Früchten führen kann: ganz da sein, mit voller Aufmerksamkeit und all’ meinen Ressourcen; bewusst und klug wahrnehmen und antworten statt automatisch und impulsgetrieben reagieren.