Ein Spiegel, man gebe ihr/ihm einen Spiegel!

Juli 29, 2019 SGuenther No comments exist

Mit vielen Menschen spreche ich über Führung und ihre Führenden, manche anderen Führungskräfte oder Führungsmenschen erlebe ich selbst.
Und immer wieder ist es für mich erstaunlich, wie sich diese in ihrem Kontext verhalten.

Die Leiterin einer Organisationseinheit, seit vielen Jahren von der eigenen Grandiosität überzeugt, die nach ihrem Weggang so recht von niemandem vermisst wird;
der Abteilungsleiter, der darin schwelgt, wie gut und offen die Kommunikation zwischen ihm und seinen Mitarbeitern läuft – die dann mir gegenüber die Augen rollen und ihren aufgestauten Frust zum Ausdruck bringen, dass sie von ihm nicht gefragt und nicht gehört werden;
die Inhaberin eines Unternehmens, die sich offen und für alle erkennbar Dinge herausnimmt, die sie bei ihren Mitarbeitern harsch kritisiert;
das Unternehmen, in dem das Geld nur für die Klimaanlage im Chef-Büro reicht, die Mitarbeiter jedoch ihre Pause bei über 30 Grad im Aufenthaltsraum verbringen müssen

und und und….

Manchmal mag man es gar nicht glauben, wie blind erfahrene „Leitende“ für die Wirkung ihrer Person und ihres Verhaltens auf andere sind oder wie sehr Selbst- und Fremdbild voneinander abweichen können!
Gelegentlich scheint es auch so, als wenn mit dem eigenen Aufstieg oder der Übernahme einer hohen Position das Gefühl für anständiges zwischenmenschliches Verhalten ebenso verloren geht wie die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Selbstreflexion.
Besonders schlimm, und da spreche ich über den eigenen Berufsstand, finde ich es, wenn ein „Trainer“ oder „Coach“ im Hause im Auftrag „von oben“ an einzelnen Themen oder Mitarbeitern arbeitet, aber nicht das Zeug dazu hat dem Leitwolf im Eckbüro zu spiegeln, dass der Fisch vom Kopf her stinkt; und dass, bei Beibehaltung bestimmter Verhaltensweisen oder Eigenheiten von Herrn Chef oder Frau Chefin, trotz aller schlauen Team- und Schulungsmaßnahmen Distanz, Zynismus, Frust und Resignation weiter steigen werden, andererseits Einsatzbereitschaft und Loyalität immer weiter sinken.

Was tun?

Einer Organisation kann nur geraten werden, als Eintrittshürde für Führungspositionen einen kontinuierlichen Feedback- und Review-Prozess zu setzen, in dem die jeweiligen Mitarbeiter und Kollegen einbezogen sind. Nicht nur erzielte Ergebnisse und großer Arbeitseinsatz sowie gutes Standing beim Ober-Chef sollten das Ticket für eine Position mit der Rolle eines Menschenführers darstellen, sondern vor allem anderen die Wirkung auf die zu führenden Menschen und die Haltung ihnen gegenüber. Wer ihm anvertraute Menschen respektlos behandelt und seine Position als Quelle eigener Vorteile versteht, gehört nicht in eine Führungsrolle!

Mitarbeitern, die unter einem oben beschriebenen Vorgesetzten leiden, sei empfohlen, bei guten Gelegenheiten sensibel einen kleinen Spiegel herauszuholen, mit dem Ich-Botschaften über das eigene Befinden bei bestimmten Gelegenheiten an den Chef / die Chefin ergänzt werden. Dazu gehört Mut, Fingerspitzengefühl und Bearrlichkeit, am besten aufgeteilt auf mehrere Kollegen. Ob es schließlich erfolgreich sein wird, kann niemand versprechen.

Der Führungskraft selbst, nein, JEDER Führungskraft sei geraten, sich regelmäßig die Zeit für den kritischen Blick in den Spiegel zu nehmen. Dies kann auch ein Coach sein, aber nur dann, wenn er auch kritische Botschaften in Richtung Auftraggeber senden kann und damit gehört wird – nicht zur Steigerung eines ohnehin schon fehlgeleiteten Selbstbildes. Wir alle suchen für Missstände gern Gründe im Außen, häufig ist jedoch die Frage „Welche Rolle spiele ich dabei, welchen Einfluss habe ich….“ die zielführende.
„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu“, lernte man einst als Kind. – Behandele ich meine Leute so, wie ich selbst gern behandelt werden möchte? Zeige ich ihnen, dass ich sie ernst nehme, sie schätze und auf sie baue, dass ihr Wohlergehen und ihre Zufriedenheit mir wichtig ist? Ist mir klar, dass hohes Engagement, Kreativität, Identifikation nur freiwillig zu bekommen sind, während „Gehorsam“ verordnet werden kann?
Daneben hilft es, mit genügend vielen Mitarbeitern in offener, authentischer Verbindung zu stehen, damit diese wie selbstverständlich den Spiegel für den Chef hochhalten, einzeln oder gemeinsam, damit dieser sich selbst erkennen und gegebenenfalls korrigieren kann.
Wie geht es Ihnen hier? Was stört oder ärgert Sie? Wie kann ich sie unterstützen? Was kann ich selbst verbessern? – Das sind Fragen für Chefs, die es ernst meinen und es wissen wollen.

Ein Führungsmensch, dem seine Wirkung auf andere nicht gleichgültig ist, weil ihm diese Menschen nicht gleichgültig sind, schafft sich die Mitstreiter und das Klima dafür, er stellt die offenen Fragen dazu und er gibt zu erkennen, dass auch er ein „Work in Progress“ ist. Dass er ein Mensch ist, der unvollkommen nach stetiger Verbesserung strebt, und der dafür dankbar die Spiegelung der Menschen um ihn/sie herum annimmt.
Die Führungskraft hingegen, die schon lange nicht mehr in einen Spiegel geschaut hat oder die Spiegeln grundsätzlich aus dem Weg geht, werden wir alle schnell erkennen.

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