Die Saison der Jahresgespräche, der Mitarbeiterbeurteilungen und Entwicklungs-Feedbacks hat in vielen Unternehmen begonnen.
Feedback sei das Frühstück der Champions, sagt man. Ein wahrer Champion, so die Logik, will wissen, wo er steht, wo er stark ist, aber vor allem auch, wo er sich verbessern kann.
Der Erkenntniseffekt macht das Feedback wertvoll. Das Konzept des Johari-Fensters unterscheidet in Form einer Matrix zwischen den von mir selbst und den von anderen über mich wahrnehmbaren oder verborgenen Dingen. Und gerade die Information über die Dinge, die jemand anders wahrnimmt, mir selbst aber unbekannt sind, ist eine wertvolle Quelle für den Verbesserungswilligen.
Das von Marshall Goldsmith propagierte „Feedforward“ schließt diesen Lerneffekt aus. Für diese ausschließlich zukunftsorientierte Variante muss ich vorab wissen, was ich verbessern will. Danach gehen die Teilnehmer in wechselnde 1:1-Gespräche und geben sich Ratschläge. Die Devise ist, in der veranschlagten Zeit so viel mitzunehmen wie möglich und anderen so viel zu geben wie möglich. Keine Diskussion, keine Einwände, kein „Ja, aber…“, einfach nur ein „Danke“ für das Geschenk der wohlgemeinten Ideen und Anregungen. Am Ende sortiert jeder seine „Geschenke“ und überlegt, was er damit tun möchte. Insgesamt ist dies eine lockerere und vergnüglichere Vorgehensweise als das klassische Feedback und es ist auch in größeren Gruppen effektiv umsetzbar. Aus meiner Sicht ist es eine Ergänzung, aber kein echter Ersatz für gutes (!) Feedback.
Dieses benötigt Mut und Haltung beim Feedbackgeber und beim Feedbacknehmer.
In der Tat braucht es manchmal einen Champion, kritisches Feedback wirklich hören zu wollen oder gar aktiv zu suchen. Hören wir nicht alle viel lieber, wie gut wir etwas gemacht haben? Wie gehen wir mit dem Appell um, etwas vielleicht Gewohntes und Eingeübtes verändern zu sollen? Haben wir immer die Gelassenheit, Feedback erst einmal dankend anzunehmen, dann in Ruhe zu reflektieren und zu überlegen, was wir umsetzen und verändern wollen – und was nicht?
Noch mehr Mut und Haltung als der Empfänger braucht wahrscheinlich der Feedbackgeber. Grundvoraussetzung für sinnvolles Feedback ist einerseits die Bereitschaft zu unterstützen, helfen, entwickeln zu wollen, ebenso aber auch die Bereitschaft zur Konfrontation des Empfängers mit dem als negativ oder unzureichend Empfundenen. Ausschließlich positives Feedback zu geben ist einfach und billig – und in aller Regel unehrliches Vermeidungsverhalten.
Brené Brown sagt in ihrem wunderbaren Buch „Dare to Lead“ dazu: „Integrität ist es, Mut statt Bequemlichkeit zu wählen, das Richtige gegenüber dem Spaßigen, Schnellen, Einfachen. Und es ist das Praktizieren deiner Werte, nicht nur deren Äußerung.“
In die Unannehmlichkeit zu gehen kritische Punkte anzusprechen, erfordert einen wertvollen Zweck, einen „Purpose“, wenn man so will. Dieser ist zum einen die Verbesserung, die Entwicklung des Feedbackempfängers. Ebenso kann es die wertvolle gemeinsame Sache sein, zum Beispiel die Kundenzufriedenheit, der Projektfortschritt, die gelingende Zusammenarbeit.
„Weil mir XYZ wichtig ist, deshalb spreche ich dies an, obwohl es mich Überwindung kostet.“ Wenn es hingegen gleichgültig ist, dann braucht es auch kein Feedback.
Dies gilt übrigens nicht nur für den formal „Vorgesetzten“. Führung im eigentlichen Sinne kann von jeder Position ausgehen. Sie ist eine Art des Seins, des Auftretens und des In-Verbindung-Gehens mit anderen und mit einem wertvollen Zweck. Dies hat zunächst nichts mit einem Titel und den herkömmlichen „Schulterklappen“ zu tun, sondern mit Initiative und Verantwortung. Daher ist es schade, dass in den wenigsten Organisationen Feedback zwischen gleichgestellten Kollegen üblich ist.
Feedback kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn der Empfänger es annehmen mag. Das heißt, wenn er sich weder gegen die Botschaft wehrt („Das kann nicht sein!“), noch gegen den Überbringer („Die hat doch gar keine Ahnung…“), oder gegen sich selbst („Ich werde das sowieso nie lernen…“). Daher lohnt sich der Transport in einer Weise, die dem Empfänger die Annahme erleichtert. Simple Grundregeln wie zeitnahes Feedback in einem Gespräch unter vier Augen setze ich voraus und möchte ich hier nicht vertiefen.
Feedback gut annehmbar zu gestalten, hat mit der Formulierung zu tun, aber auch mit der menschlichen Haltung, die erkennbar durchscheint. Gerade in zwischenmenschlichen Situationen dieser Art ist der Adressat oft hoch sensibel. Während des Gesprächs in guter Verbindung zu bleiben, neugierig, offen und mutig zu bleiben, ist wichtige Anforderung und zugleich große Herausforderung.
Erneut ist es Brené Brown, die in ihrem Buch 10 untypische, aber fantastisch wertvolle Leitlinien vorstellt, die alle beginnen mit „Ich weiß, dass ich bereit bin Feedback zu geben, wenn…“.
„…wenn ich bereit bin, neben dir zu sitzen anstatt gegenüber“ ist einer ihrer Denkanstöße. Möglichst wenig Distanz, keine Positionierung als Kontrahenten, sondern als Partner, der Blick in die gleiche Richtung gerichtet, ist hiermit gemeint.
„…wenn ich dich für etwas verantwortlich halten kann, ohne dich zu beschämen oder zu verurteilen“ ist ein weiteres, aus meiner Sicht ganz starkes Beispiel. Hier spricht kein Lehrer zum Schüler, kein Richter zum Angeklagten. „Shame and Blame“ ist die Form von Kritik, mit der viele von uns aufgewachsen sind, aber es geht auch anders, respektvoller, erwachsener, partnerschaftlicher.
Jedes Thema ist facettenreich, wenn man ihm genügend Aufmerksamkeit widmet. Diese Aufmerksamkeit bekommt das wertvolle Werkzeug Feedback meist nicht. Oft führt es ein Schattendasein als ungeliebte formale Übung oder als nice-to-have, wenn noch Zeit übrig ist.
Ein Champion will und erbittet Feedback, der andere Champion gibt es, bereitwillig, überlegt und mutig. So können beide Champions zusammen wunderbar frühstücken.