In meinem soeben beendeten, höchst eindrucksvollen Urlaub in Namibia habe ich mich einige Male gefragt, wie in dieser oft sehr kargen Landschaft, die über lange Strecken keine Gräser und nur wenige Sträucher aufweist, überhaupt ein Löwe nah genug an ein scheues Zebra, Kudu oder Gnu kommt, um eine Chance auf einen Jagderfolg zu haben?
Es gibt darauf zwei Antworten:
- Sie jagen überwiegend nachts, da sie sehr gut im Dunkeln sehen – damit nutzen sie also einen komparativen Vorteil gegenüber ihrer Beute aus;
vor allem aber:
2. Sie jagen immer „gegen den Wind“, sodass das Beutetier sie nicht riechen kann.
Bei vielen Fertigkeiten, so scheint mir, gibt es eine ganz grundlegende Voraussetzung, ohne die ein Erfolg nicht möglich ist. Diese wird manchmal als selbstverständlich angenommen, manchmal aber auch ignoriert – und dies führt dann zum Misserfolg.
Wer zum Beispiel erfolgreich Fußball (Handball, Volleyball, Tennis…) spielen will, dem hilft alle Technik und Taktik nichts, wenn er nicht eine gehörige Grund-Fitness aufweist.
Der beste menschliche Jäger, er möge noch so erfahren sein, beste Bedingungen und die perfekte Ausrüstung haben, wird, wie der Löwe in der Wildnis, „mit dem Wind“ kaum Erfolg haben. Wenn die Beute ihn frühzeitig riecht, ist sie schneller als er und nutzt ihren Vorsprung zur Flucht.
Ohne diese grundsätzliche Erkenntnis – für den Löwen ist sie sogar lebensnotwendig, will er nicht verhungern – kann er sein Jagdglück lange Zeit erfolglos bemühen.
Wenn ich mit anderen Menschen etwas Gemeinsames anstrebe – eine Kooperation, ein Geschäft, eine vertiefte, positive Beziehung – muss ich mich ebenfalls „von der richtigen Seite“ nähern, wie der Löwe oder der Jäger.
Komme ich von der „Seite“ meiner eigenen Absichten, Ziele und Interessen, „wittert“ mein Gegenüber dies in aller Regel schnell und wird vorsichtig oder misstrauisch sein.
David H. Maister hat in seinem Klassiker „The Trusted Advisor“ eine meines Erachtens sehr treffende Formel für Vertrauenswürdigkeit veröffentlicht. Im Zähler dieser Formel addiert er Wahrhaftigkeit (Worte und Aussagen stimmen), Zuverlässigkeit (Vereinbarungen werden eingehalten) und Vertrautheit (man mag Vertrauliches teilen und weiß, dass es in guten, sicheren Händen ist).
In den Nenner setzt er dann den Begriff „Selbstbezogenheit“. Diese – vom anderen wahrgenommene – Selbstbezogenheit kann also „mathematisch“ die positiven Effekte der drei anderen Komponenten minimieren. Selbstbezogenheit heißt, als Gesprächspartner spüre ich, dass hier jemand lediglich seine eigenen Interessen verfolgt, aber nicht meine. Dafür sind Menschen durchaus sensibel und es löst in ihnen sofort Alarm und Abwehrhaltung aus.
Selbstbezogen, mit meinen eigenen Interessen im Kopf, jage ich „mit dem Wind“. Weit klüger ist es, wenn ich die „Witterung“ meines Gegenübers aufnehme und, sozusagen gegen den Wind, erst von ihm erfahre, bevor ich meine Interessen einbringe.
Wie geht das praktisch und systematisch?
Alle Menschen haben Wünsche, Ziele, Absichten, Träume. Diese sind ihnen wichtig und diese Dinge sind es, die sie bewegen, ihre Aufmerksamkeit binden, und die sie laufend in ihren Köpfen bewegen.
Ebenso haben alle Menschen Bedenken, Sorgen, Abneigungen, die die Zukunft betreffen. Auch diese sind hoch relevante Motivatoren für ihr Handeln.
Hinzu kommen noch konkrete aktuelle Umstände, Situationen oder Konstellationen von Fakten, in denen sie sich befinden und die kurzfristig nicht veränderbar sind.
Von der „richtigen Seite“ zu kommen heißt nun, bei diesen Absichten, Sorgen und Umständen anzusetzen – bei dem, was meinem Gegenüber wichtig ist – und sie in den Mittelpunkt zu stellen:
- Was ist (hierbei) für dich besonders wichtig?
- Was, denken Sie, sollte auf keinen Fall passieren?
- Und was ist noch relevant und zu bedenken? Und was noch?
Gelingt es mir, hierbei wirklich offen zu sein, relevante Informationen zu sammeln, mein Gegenüber mit seinen Sichtweisen ernst zu nehmen und nicht für sein Anderssein zu verurteilen, werde ich in aller Regel Vertrauen geschenkt bekommen. Ebenso werde ich bei ihm auf offene Ohren auch für meine Sicht der Dinge und meine Interessen stoßen.
Nur dann, wenn ich die Absichten, Bedenken und Umstände meines potenziellen Geschäfts- oder Kooperationspartners kennenlerne, können wir im nächsten Schritt einander berührende Interessen und gemeinsame Möglichkeiten erkunden und entdecken.
Andersherum gilt der wunderbare Satz von Mickey Connolly (Conversant): Wenn du mit jemandem NICHT weiterkommen willst, dann ignoriere seine Interessen und sage ihm gleich zu Beginn, dass er im Unrecht ist. 😊
Hand aufs Herz:
- Wie gut gelingt es dir, von der „richtigen Seite“ zu jagen und deine eigenen Interessen und Wünsche zunächst zurückzustellen?
- Wie konsequent bist du darin, die Absichten, Sorgen, Situation deines Gegenübers ernsthaft kennenzulernen, bevor du mit deinen Absichten kommst?